Von Eiweißmangel bis Eiweißmast: Wie viel Protein ist sinnvoll und welches? Der Forscher Dr. med. Ludwig Manfred Jacob im Gespräch mit Ralf Kollinger

v.l. Die Ernährungsmedizinerin Frau Dr. med. Petra Bracht , der Forscher Dr. med. Ludwig Manfred Jacob und Ralf Kollinger

v.l. Die Ernährungsmedizinerin Frau Dr. med. Petra Bracht , der Forscher Dr. med. Ludwig Manfred Jacob und Ralf Kollinger

Die offizielle Zufuhrempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Protein lautet 0,8 g pro kg mageres Körpergewicht. Bei einem Gewicht von 60 kg entspricht dies 48 g Protein pro Tag, bei 80 kg 64 g Protein. Die mittlere Proteinaufnahme in Deutschland beträgt laut Nationaler Verzehrsstudie II für Frauen 64 g/Tag und für Männer 85 g/Tag (MRI, 2008) und liegt somit deutlich über der Empfehlung. Jedoch nehmen auch etwa 11 % der Männer und 15 % der Frauen weniger als die täglich empfohlene Menge an Protein auf. Hierbei sind vermehrt Senioren ab 65 Jahren und junge Frauen zwischen 14 und 24 Jahren betroffen. Ein Proteinmangel ist die Angst vieler Verbraucher. Ist diese Angst begründet? Wer ist wirklich mangelgefährdet? Und was ist die beste Proteinquelle?
In einer aktuellen Studie wurden die Ernährungsgewohnheiten von 6381 Personen ab einem Alter von 50 Jahren erfasst. Innerhalb eines Zeitraums von 18 Jahren nach Studienbeginn wurde überprüft, wie sich die Proteinaufnahme der Studienteilnehmer auf deren Mortalitätsrisiko auswirkte. Die Ergebnisse zeigen, dass eine hohe Proteinzufuhr (ab 20 % der täglichen Energiezufuhr) im Alter zwischen 50 und 65 Jahren mit einer um 75 % erhöhten Gesamtmortalität und einer 4-fach erhöhten Krebsmortalität assoziiert war im Vergleich zu der Gruppe, die maximal 10 % der täglichen Energie in Form von Protein aufnahm. Diese Effekte traten nicht oder nur stark vermindert auf, wenn es sich dabei um pflanzliches Protein handelte. Bei Personen, die älter als 65 Jahre waren, ging eine erhöhte Proteinzufuhr hingegen mit einem reduzierten Risiko der Gesamt- und Krebsmortalität einher. Lediglich die Diabetesmortalität war über alle Altersgruppen hinweg bei der Gruppe mit hoher Proteinaufnahme um das 5-Fache erhöht (Levine et al., 2014). Worin könnten die Ursachen für diese Studienergebnisse liegen?

Allgemeiner Gesundheitszustand im Alter als Confounder
Während im mittleren Lebensalter die Ernährungsweise auf einer bewussten Entscheidung beruht, kann ein schlechterer Gesundheitszustand bei Personen über 65 Jahren die Nahrungsmittelauswahl bestimmen und auf Studienergebnisse als starker Confounder wirken. Wer alt und kränklich ist löffelt öfter Brei, denn zum Kauen eines Steaks braucht man gute Zähne und Appetit – bekanntlich geht bei vielen Erkrankungen die Lust auf Fleisch und schwer verdauliche, proteinreiche Mahlzeiten zurück. Es bleibt demnach zu klären, ob die höhere Proteinversorgung im Alter mit einem besseren Gesundheitszustand einhergeht oder ob umgekehrt die Proteinversorgung durch einen schlechteren Gesundheitszustand reduziert wird. Die mögliche Schlussfolgerung aus der Studie, ältere Menschen sollten generell mehr Protein essen, ist demnach mit Vorsicht aufzufassen. Richtig ist, dass Personen über 70 Jahre ausreichend Protein (ca. 0,8 g bis 1 g pro kg Körpergewicht) aufnehmen und auch durch regelmäßige Bewegung einem Muskel- und Knochenabbau vorbeugen sollten.

Weiter zum gesamten Artikel: Von Eiweißmangel bis Eiweißmast im Gespräch mit Ralf Kollinger, der Forscher Dr. med. Ludwig Jacob 03062014